Der Paris-Newsletter für die, die schon alles gesehen haben Von İrem Çatı und Arthur Devriendt
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Ausgabe vom 2. Juli 2023 [#10]
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Salut aus Paris,
in dieser Woche zeigen wir euch eine kleine Attraktion, die seit einigen Jahren das Gesicht der Avenue des Gobelins ausmacht. Aus fast jedem Schaufenster sowie vielen Restaurants und Cafés lacht einem ein riesiger Teddybär entgegen. Mittlerweile sind die Plüschtiere eng mit dem Viertel verbunden und fast so berühmt wie die große Manufacture des Gobelins. Doch wie sind sie überhaupt dorthin gekommen? Und wer steckt hinter der Aktion? Wir nehmen euch mit auf die Avenue des Gobelins!Neben den Bären gibt es dort noch viele andere Dinge zu entdecken: beispielsweise das kleine Château der „weißen Königin“, das heute ein Wohnhaus ist oder den Square René Le Gall, der von einem Architekten entworfen wurde, der unseren Hamburger Lesern bekannt sein dürfte. Schließlich nehmen wir euch mit in das Restaurant „Les Frangins“, das sich auf einen französischen Klassiker spezialisiert hat.
Viel Spaß beim Lesen
İrem & Arthur
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Was war diese Woche los in Paris? |
„Gerechtigkeit für Nahel“. Seit dem 27. Juni prangt der Slogan an den Wänden der französischen Städte und wird von zahlreichen Demonstranten gerufen. An diesem Tag wurde der 17-jährige Nahel M. am Steuer eines Sportwagens und nach mehreren Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung bei einer Polizeikontrolle in Nanterre, einem Vorort von Paris, getötet. Die ursprüngliche Version der Polizei, der zufolge der Teenager absichtlich auf die Ordnungskräfte zugefahren sei, wurde durch das Video eines Zeugen der Szene, das in den sozialen Netzwerken stark verbreitet wurde, widerlegt.Obwohl der Polizist schnell in Polizeigewahrsam genommen wurde und fast alle Politiker seine Tat verurteilten — allen voran Emmanuel Macron, der von einem „nicht vertretbaren“ und „unentschuldbaren“ Vorfall sprach —, sind in der darauffolgenden Nacht große Unruhen ausgebrochen. Die Krawalle haben Erinnerungen an das Jahr 2005 geweckt, als zwei Jugendliche sich nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei in einem Stromtransformator versteckt haben und dort ums Leben gekommen sind. Viele Beobachter sind der Meinung, dass Frankreich fast zwanzig Jahre später immer noch zu langsam gegen die Polizeigewalt und den Abstieg ganzer Bevölkerungsgruppen vorgeht.Die Unruhen der letzten Tage führten nach Angaben der Behörden zu zahlreichen Sachbeschädigungen und Plünderungen. Die Rede ist einem Dutzend betroffener Einkaufszentren, 200 Geschäften, 250 Bankfilialen und 250 Tabakläden. Auch mehrere Rathäuser, Bibliotheken oder Polizeistationen wurden angegriffen. Im Gegensatz zu 2005 blieben die Unruhen nicht auf die Vorstädte beschränkt, sondern erreichten auch die Zentren von Großstädten wie Paris, Lyon oder Marseille. In der Nacht von Freitag auf Samstag wurden im ganzen Land über 1000 Teilnehmer festgenommen.Am gestrigen Samstag wurde der junge Nahel im Rahmen einer Zeremonie in der Ib-Badis-Moschee in Nanterre beigesetzt. Mehrere hundert Menschen waren anwesend, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Am selben Tag kündigte Emmanuel Macron aufgrund der Situation an, seinen ursprünglich für den 2. bis 4. Juli geplanten Besuch in Deutschland abzusagen.
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Die Avenue des Gobelins im 13. Arrondissement ist nicht nur
wegen der ehemaligen königlichen Tapisserie-Manufaktur, dem Schloss der
weißen Königin oder dem Blick auf das Pantheon einen Besuch wert. Auch
in den Schaufenstern der Geschäfte oder auf den Terrassen der Cafés gibt
es einiges zu sehen: Dort wartet eine Vielzahl großer Teddybären aus
Plüsch auf die Passanten.
In unterschiedlichen Positionen, nur mit einem Pullover bekleidet
oder den Kopf mit einem Hut bedeckt! Wie zum Beispiel drei Teddybären,
die das Schaufenster und den Verkaufsraum eines Optikers auf der Avenue
besetzen. „Die Kinder freuen sich immer sehr, wenn sie sie sehen. Das
hat eine echte Anziehungskraft, sowohl für die Kunden als auch für die
Touristen“, erzählt eine Mitarbeiterin.
Die Initiative ist dem Betreiber eines kleinen Zeitungskiosks auf der
Avenue zu verdanken und geht bis Oktober 2018 zurück. „Es war eine
düstere Zeit für das Geschäft. Das Ziel war, die Leute zum Lächeln zu
bringen und ein bisschen gute Laune in die Gegend zu bringen“, erzählt
Philippe gegenüber Aus Paris. Da kam ihm die Idee, kostenlos Teddybären
an die Geschäftsleute zu verteilen.
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Von Nectar in der Weinhandlung Nicolas werden täglich mehrere Fotos gemacht © Aus Paris
Den Leuten, die sie nach diesen Bären fragen, „sollen die
Ladenbesitzer sagen, dass sie nicht wissen, woher sie kommen, dass sie
sie vor ihrer Tür gefunden und freundlich aufgenommen haben“, sagt
Philippe. Auf die ersten beiden Teddys Ursus Gobelinus und Natacha, die
„auf dem Standesamt geheiratet“ haben, folgte eine ganze Familie, die
immer noch wächst. Wie viele sind es insgesamt? „Das entspricht zwei
großen Flugzeugen“, sagt ihr Schöpfer.
Zunächst war es Philippe, der in den Geschäften um Kunden warb, doch
inzwischen kommen die Ladenbesitzer zu ihm, um die Teddys zu bekommen.
„Sie müssen sich bewerben und wir schauen, ob sie einen guten Platz für
den Teddy haben, von dem aus die Leute ihn von außen sehen und Fotos
machen können“, erklärt er. So ging unter anderem dem Besitzer der
Weinhandlung Nicolas. In seinem Schaufenster stehen zwei Teddybären,
darunter Nectar, der „mindestens zehn Mal am Tag“ fotografiert wird und
wahrscheinlich „überall im Internet“ zu finden ist, wie der Weinhändler
lachend erzählt.
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Egal ob in Schaufestern oder Cafés: Überall auf der Avenue des Gobelins trifft man auf Teddybären © Aus Paris
Die Teddybären der Gobelins sind mittlerweile kleine Berühmtheiten,
sei es auf Facebook oder Instagram, wo ihrem Konto schon 32.000 Menschen
folgen. Gleichzeitig hat sich ihr geografischer Horizont erweitert:
„Wir haben sie in der ganzen Welt! In Australien, den USA, Marokko und
seit einer Woche sogar in Japan“, berichtet Philippe. „Ein Bär ist auch
nach Berlin und München gereist“, fügt er hinzu.
Um sie innerhalb von Paris oder anderswo zu transportieren, hat
Philippe sich ein „Nounoursmobile“ — ein fast speziell ausgestattetes
Auto — zugelegt. Einige seiner Bären vertraut er auch freiwilligen
Reisenden an, die Fotos aus allen Ecken der Welt mitbringen. Schließlich
werden einige Teddybären an Vereine oder ehrenamtliche Tätigkeiten
verliehen, um diesen zu helfen, bekannter zu werden. Es geht nicht
darum, „Geld zu machen“, betont Philippe, aber Spenden werden gerne
angenommen, um die Familie weiter wachsen zu lassen und den Menschen ein
Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
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Königliche Residenz, Industriekomplex für die Scharlachfärberei der Familie Gobelin, Gerberei und schließlich Wohnblock: das Château de la Reine Blanche hatte viele Gesichter und kann noch heute besichtigt werden...
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Tatar aus der Familienküche
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Ein gutes Boeuf Tatar gehört genauso zur französischen Küche wie das Baguette oder die Crème brûlée und obwohl wir uns auf dieser Plattform ja eigentlich von den Klischees fernhalten wollen, kommen wir nicht umhin, euch „Les Frangins“ zu empfehlen...
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Jean-Charles Moreux – Hamburgern bekannt als Architekt des „Kleinen Michels“ – errichtete 1936 in der Nähe der Gobelins-Manufaktur den Square René Le Gall. Sein Rosengarten bietet genügend Stille, um sich eine kleine Auszeit zu gönnen...
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